Was waren die preußischen Reformen?

    Preußen hatte 1806 gegen Frankreich eine bittere Niederlage hinnehmen müssen (Vierter Koalitionskrieg). Es verlor große Gebiete seines Landes und musste Frankreich hohe Kriegsentschädigungen zahlen. Seine Stellung als europäische Großmacht hatte Preußen vorerst verloren.

    Es besaß nur noch fünf Provinzen: Brandenburg, Pommern, Westpreußen, Ostpreußen und Schlesien. Posen (zwischen Pommern und Schlesien) kam erst 1815 zu Preußen.

    Die Notwendigkeit von Reformen

    Nun wurde mit der Niederlage deutlich, dass Frankreichs System dem Preußens offenbar weit überlegen war: militärisch, aber auch in der Verwaltung und der Ordnung des Staates. So kam es in der Folge zu umfangreichen Reformen auf vielen Gebieten. Die wichtigsten Änderungen gab es im Bereich der Verwaltung, im Militär und in der Bildung.

    "Revolution von oben"

    Damit die preußischen Bürger genauso bereit wären, für ihren Staat einzustehen, wie es offenbar die Franzosen waren, müssten die alten Strukturen abgebaut werden. Feudale und absolutistische Überreste müssten verschwinden. Den Menschen sollten Freiheiten und Rechte zugestanden werden. Aus Untertanen sollten Bürger werden. Eine blutige Umwälzung wie 1789 in Frankreich sollte es hier nicht geben: Der Staat setzte die Neuerungen von oben ein.

    Die Reformer: Stein und Hardenberg

    Für die Durchführung der Reformen setzte der König von Preußen, Friedrich Wilhelm III., im Juli 1807 den Freiherrn vom Stein ein. Der ehemalige preußische Minister führte die Bauernbefreiung, die Städteordnung und die Verwaltungsreform durch. Ein Jahr später drängte Napoleon Friedrich Wilhelm III., Stein zu entlassen, weil der Aufstandspläne gegen Napoleon entwickelt hatte. Nachfolger Steins wurde der Freiherr von Hardenberg, der die Reformen fortführte. Man spricht darum auch von den Stein-Hardenbergschen-Reformen.

    Die Reformen

    Die Bauernbefreiung

    1799 hatte man in Preußen den Bauern, die Land des Königs bewirtschafteten, die Freiheit gegeben. Alle anderen Bauern wurden dann 1807 von der Erbuntertänigkeit befreit. Damit verbunden war eine freie Berufswahl für alle Bürger des Landes. Ein bisheriger Bauer konnte also nun auch in die Stadt ziehen und dort arbeiten. Das war vorher nicht möglich. Ein Bauer brauchte nun auch nicht mehr die Einwilligung seines Grundherrn zum Heiraten wie zuvor.

    Die persönliche Freiheit der Bauern führte aber noch nicht dazu, dass sie die Höfe, die sie bewirtschafteten, auch besaßen. Ab 1811 war es dann möglich, dass die Bauern das Land auch erwarben. Wer das Geld nicht aufbringen konnte, musste dafür einen Teil seines Landes als Entschädigung an den Grundherren abgeben.

    Allerdings führte das dazu, dass das Land der Großgrundbesitzer immer größer wurde, das der Bauern immer kleiner. Viele Bauern waren so verschuldet, dass sie ihr übriges Land auch dem Grundherrn geben mussten und so zu besitzlosen Landarbeitern wurden.

    Verwaltungsreform

    Aus Preußen wurde nun ein einheitlicher Staat. Es wurden Ministerien eingerichtet für Inneres, Finanzen, Außenpolitik, Krieg und Justiz. Das alte Kabinett des Königs, das neben den Ministerien bestanden hatte, wurde abgeschafft. Die Minister besaßen eine starke Stellung. Die Verwaltung wurde zentralisiert, indem der Staat in Provinzen, Regierungsbezirke und Kreise aufgeteilt wurde.

    Die Gerichte der Gutsherren (Patrimonialgerichte), die es bis dahin neben den staatlichen Gerichten gab, wurden abgeschafft. Auch die polizeilichen Rechte der Gutsherren wurden eingeschränkt, indem eine staatliche Polizei geschaffen wurde, die militärisch organisiert wurde (Gendarmerie).

    Städteordnung (Selbstverwaltung der Städte)

    Die Städte sollten selbst verwaltet werden, also nicht mehr vom Staat, sondern durch die Bürger selbst. Die wählten Stadtverordnete, die wiederum den Magistrat der Stadt wählten. Aus diesem Kreis wurde wiederum der Bürgermeister gewählt.

    Gewerbefreiheit

    Der mittelalterliche Zunftzwang wurde 1811 abgeschafft und damit die Gewerbefreiheit eingeführt. Nun konnte jeder seinen Beruf frei wählen. Das förderte den Wettbewerb und damit die Wirtschaft. Die Gewerbefreiheit trug also erheblich dazu bei, dass die Wirtschaft Preußens wuchs. Allerdings kam es auch dazu, dass bestimmte Handwerksberufe zu häufig vertreten waren. So gab es z. B. bald viel zu viele Schneider, Weber oder Tischler, die dann verarmten.

    Judenemanzipation

    Mit dem Judenedikt von 1812 wurden in Preußen lebende Juden zu preußischen Staatsbürgern. Sie erhielten damit die gleichen bürgerlichen Rechte und Pflichten wie die anderen Bürger auch. Die freie Ausübung ihrer Religion wurde ihnen garantiert.

    Schon im Mittelalter waren die Juden benachteiligt und an den Rand der Gesellschaft gedrängt worden. Jetzt wirkten sich die Ideen der Aufklärung und das Ideal von der Gleichheit aller Menschen auch auf in Preußen lebende Juden aus.

    Heeresreform

    Dass die alte preußische Armee nicht mehr zeitgemäß war und der französischen Organisation weit hinterher stand, hatte die Niederlage im Krieg von 1806 deutlich gezeigt. Eine neue starke Armee sollte also geschaffen werden. Drei Generäle kümmerten sich um die Durchsetzung der Reform: Scharnhorst, Gneisenau und Clausewitz.

    Das Heer sollte beweglicher in der Taktik werden. Entehrende Strafen wie die Prügelstrafe und das Spießrutenlaufen wurden abgeschafft. Auch Bürgerliche konnten nun die Offizierslaufbahn einschlagen. Die militärische Führung wurde in der neuen Preußischen Kriegsakademie ausgebildet. 1814 wurde die allgemeine Wehrpflicht eingeführt.

    Bildungsreform

    Die Bildungsreform wurde vor allem von Wilhelm von Humboldt durchgeführt. Der Staat erhielt die Aufsicht über alle Schulen.  Die Schulpflicht wurde strenger durchgesetzt. Alle Kinder besuchten zunächst die Volksschule, für eine höhere Bildung gab es das Gymnasium. Leistung wurde wichtiger als Herkunft und Stand. An den Universitäten galt die Freiheit von Lehre und Forschung.

    Folgen der Reformen

    Tatsächlich schufen die Reformen die Grundlagen für die Modernisierung Preußens und seinen Wiederaufstieg als Großmacht Europas. Manche Reformen wurden allerdings nach dem Wiener Kongress, während der Restauration, wieder rückgängig gemacht.