Kindheit im 19. Jahrhundert
Die Kindheit gibt es doch schon, seit es Kinder gibt, also schon immer, wirst du vielleicht sagen. Das ist richtig, aber auch gleichzeitig falsch, denn der Begriff der Kindheit ist eine Erfindung des späten 19. Jahrhunderts. Aber kann etwas erfunden werden, das es schon immer gab?
Kinder wurden wie Erwachsene behandelt
Kinder wurden in der Zeit vor der Industrialisierung wie Erwachsene behandelt. Sie mussten auch wie die Erwachsenen arbeiten. Die Kinderarbeit war auch im 19. Jahrhundert ganz normal und erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts dachte man darüber nach, sie einzuschränken und später ganz zu verbieten. In der Landwirtschaft dauerte es noch länger, bis die Kinderarbeit verboten wurde. Und wenn du dich heute auf der Welt umschaust, ist es in vielen Ländern leider immer noch so, dass Kinder arbeiten müssen. Oft genug deshalb, damit wir hier in Europa billig einkaufen können.
Die bürgerliche Familie entwickelte sich im 19. Jahrhundert
Erst mit dem Aufkommen der bürgerlichen Familie im 19. Jahrhundert sollte sich auch so etwas wie die Kindheit als Begriff entwickeln können. Diese bürgerliche Familie wurde zum Vorbild für alle anderen Familien: für Bauern, Handwerker, Arbeiter und sogar für den Adel.
In Bauern- und Handwerkerfamilien waren Kinder einfach wichtige Arbeitskräfte. Schon mit vier Jahren halfen sie im Stall oder hüteten Tiere.
Was war eine bürgerliche Familie?
Die bürgerlichen Familie trennte Leben und Arbeiten. Meist ging der Mann außer Haus einer Arbeit nach, die Frau versah den Haushalt. Sie übernahm auch die Erziehung der Kinder. Dass Kinder mit Bedacht erzogen wurden, war auch eine Neuerung. Vorher ging es in erster Linie darum, dass Kinder gehorchten, ihr Wohlbefinden, ihre persönliche Entwicklung waren weniger wichtig. Jetzt dachte man auch an das Wohl der Kinder.
Die Beziehung zwischen Eltern und Kindern veränderte sich
In der bürgerliche Familie kümmerte man sich auch um die Ausbildung des Nachwuchses. Allerdings betraf dies in erster Linie die männlichen Nachkommen und hier vor allem den ersten männlichen Nachkommen, also den Erben der Familie. Die Zahl der Kinder wurde immer weniger dem Zufall überlassen, sondern man begann - soweit das möglich war - Kinder zu planen. Die Eltern hatten Interesse an ihren Kindern, sie erzogen sie, sie überwachten und lenkten sie. Diese sehr viel engere Eltern-Kind-Beziehung sollte sich bis heute halten.
Doch das Verhältnis der Eltern zu ihren Kindern war anders als heute, wo Vater und Mutter im besten Fall gemeinsam die Kinder erziehen und ihnen vor allem Liebe und Zuneigung entgegen bringen. Im 19. Jahrhundert waren Gefühle eine "Sache der Frauen". Die Beziehung der Väter zu ihren Söhnen war in erster Linie von Autorität geprägt, nur selten zeigten Väter ihre Zuneigung zu ihren Kindern, vor allem zu ihren Söhnen. Respekt und Furcht prägten oft genug das Verhältnis der Kinder zu ihren Vätern. Bei den Müttern war das schon ein bisschen anders, als Frauen durften sie ihre Gefühle schon eher zeigen als die Väter.
Kinder erhielten eine Schonfrist
So gestand man den Kindern in den ersten Lebensjahren eine Schonfrist zu. Auch die Vorstellung, Kindern ein eigenes Zimmer zur Verfügung zu stellen, war völlig neu. Klar, nicht jeder konnte sich das leisten, aber wenn möglich, wollte man Kindern einen Raum anbieten, in dem sie spielen und sich entfalten konnten.
Auch heute noch leben Kinder in Verhältnissen wie im 19. Jahrhundert, manchmal in noch sehr viel schlimmeren, vor allem die Kinder der Dritten Welt.